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2024-06-25 Die merkwürdigen Vorfälle der Bombenjahre in Südtirol

Pfitscherjoch - Steinalm - Porzescharte (1966/1967)

 

Vortrag von Oberst dhmfD aD Hofrat iR Dr. Hubert Speckner

Am 25. Juni 2024 referierte Hofrat iR Oberst Dr. Speckner für die Niederösterreichische Militärhistorische Gesellschaft (NÖ MHG mit Sitz in Mautern) und für die Offiziersgesellschaft Niederösterreich (OG NÖ mit Sitz in St. Pölten) über die „merkwürdigen Vorfälle“ in Südtirol der Sechzigerjahre.

Ausgangssituation war die Bestrebung sehr vieler Südtiroler, dass ihre Heimat wieder an Österreich angeschlossen wird:

„Es ist unser unerschütterlicher Wunsch und Wille, dass unser Heimatland Südtirol vom Brenner bis zur Salurner Klause mit Nordtirol und Österreich wieder vereinigt werde!”

(Quelle: https://bas.tirol/cpt_allgemein/das-suedtirol-problem)

Dieses Südtirol-Problem hat seinen Ursprung in der Besetzung Südtirols durch Italien am Ende des Ersten Weltkrieges 1918 und der faschistischen Machtübernahme in Italien im Jahr 1922. Die Maßnahmen der faschistischen Regierung unter Mussolini zur „Italianisierung“ Südtirols und zur „Majorisierung“ durch Massenzuwanderung italienischer Staatsbürger brachte die deutschsprachige Südtiroler Bevölkerung in arge Bedrängnis.

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte Italien die Politik der „Majorisierung“ fort, was 1957 zur Gründung des „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) führte. Die BAS-Aktivisten der ersten Stunde versuchten, auf die Probleme der deutsch- und ladinischsprachigen Bevölkerung Südtirols aufmerksam zu machen. Dazu zählten die Verteilung von Flugblättern, das Hissen der Tiroler Landesfahne und das Aufmalen des Tiroler Adlers auf Felswände. Diese für die Südtiroler bedeutenden Symbole waren seit der Faschistenzeit allerdings verboten. Die internationale Öffentlichkeit sollte auf die Zustände in Südtirol aufmerksam gemacht werden. Beschlossen wurde, Anschläge gegen faschistische Denkmäler und Symbole der italienischen Staatsmacht, der Kolonialisierung und der Zuwanderungspolitik durchzuführen, ohne dabei Menschenleben in Gefahr zu bringen. Die „Feuernacht“ wurde geplant und vom 11. auf 12. Juni 1961 umgesetzt (i.e. 37 gesprengte Strommasten). Obwohl sich die Anschläge nicht gegen Menschen richteten, wurde ein Straßenarbeiter getötet, als er eine nicht explodierte Bombe fand (siehe Wikipedia mit dortigem Verweis auf Hubert Speckners Buch „Von der Feuernacht zur Porzescharte“).

Italien verstärkte nach der „Feuernacht“ massiv seine Sicherheitskräfte in Südtirol, was zu einem Aufmarsch des Heeres, der Carabinieri, der Polizei und der Guardia di Finanza mit bis zu 40.000 Personen führte. Auch Österreich verstärkte seine Grenzüberwachung vor allem aufgrund des starken außenpolitischen Drucks Italiens auf Österreich.

Einsatz des Bundesheeres

Unter dem Titel „Zwischen Porze und Roßkarspitz …“ behandelt der Militärhistoriker Dr. Hubert Speckner detailliert jenen „Vorfall“ auf der Porzescharte an der Grenze von Osttirol nach Italien am 25. Juni 1967, bei dem der Hochspannungsmast Nr. 119 der Leitung von Lienz in die Provinz Belluno gesprengt wurde. Am Tag nach der Sprengung des Mastes kamen vier italienische Soldaten bei zwei Explosionen im Bereich der Porzescharte ums Leben. Die Italiener behaupteten, diese seien Opfer von Sprengfallen der Österreicher geworden. Diese Version wurde von Italien zum „blutigsten Attentat des Südtirol-Terrorismus“ hochgespielt. Bis heute sind die Gerüchte um die Ereignisse auf der Porze nicht verstummt, und viele sind davon überzeugt, dass der wahre Hintergrund in der italienischen Geheimdienstszene zu suchen sei.

Der Vorfall belastete die ohnehin problematischen Beziehungen zwischen Italien und Österreich zusätzlich. Österreich reagierte mit einem „konzentrierten verstärkten Grenzüberwachungseinsatz“ des Bundesheeres an der Grenze zu Italien, um in Form einer Assistenzleistung für das Innenministerium unbefugte Grenzübertritte von Tirol nach Italien zu verhindern. Tragtiere und Hubschrauber stellten die Versorgung im Hochgebirge sicher. Eingesetzt waren im ersten Turnus das Jägerbataillon 23 aus Vorarlberg, das Jägerbataillon 4 aus Wien und das Jägerbataillon 25 aus Kärnten mit in Summe 1500 Mann. Nach 6 Monaten wurde der Einsatz beendet - es kam zu keinen Vorfällen mehr.

Das Buch „Von der Feuernacht zur Porzescharte …“:

Neben den Untersuchungen zum „Südtirol-Problem“ der 1960er Jahre in den österreichischen sicherheitsdienstlichen Akten bzw. zu den einzelnen Fällen – immerhin über 50 an der Zahl zwischen 1957 und 1967 – sind der Exkurs „Die österreichisch-italienischen Beziehungen und die Südtirol-Frage 1922 bis 1938“ sowie das Kapitel „Auf dem Weg zum Höhepunkt des Südtirol-Problems“ sehr erhellend. Hierbei arbeitet der Militärhistoriker heraus, dass die Südtirol-Politik Italiens nach dem Zweiten Weltkrieg bis hin in die 1960er Jahre dem Konzept aus der faschistischen Ära folgt. Die Durchsicht der Geschehnisse macht sehr bald deutlich, wie brisant die Lage und wie weit die offizielle Darstellung von der Aktenlage abweicht. Dabei bezieht sich Dr. Speckner in erster Linie auf den sicherheitsdienstlichen Bestand. Damit stellt er neben den vorhandenen Untersuchungen, die sich in erster Linie auf die Massenmedien beziehen, eine interne wissenschaftliche Sicht der Dinge dar.

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Dr. Hubert Speckner: „Von der Feuernacht zur Porzescharte …“

Das Buch „Pfitscherjoch Steinalm Porzescharte“:

Die drei „merkwürdigen Vorfälle“ des Höhepunktes der Südtiroler Bombenjahre 1966 und 1967 (also die Explosionen im Pfitscherjoch-Haus am 23. Mai 1966, in der Kaserne der Guardia di Finanza auf der Steinalm am Brenner am 9. September 1966 sowie auf der Porzescharte zwischen Osttirol und Italien am 25. Juni 1967) stellten den traurigen Höhepunkt des Südtirol-Konflikts in den Sechzigerjahren mit insgesamt acht Todesopfern unter den italienischen Sicherheitskräften dar. Trotz berechtigter Zweifel am von der italienischen Seite präsentierten Ablauf dieser Vorfälle beharrt das offizielle Italien bis heute auf der Schuld von insgesamt elf Aktivisten des „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) aus Südtirol und Österreich. Eine intensive wissenschaftliche Befassung mit diesen Vorfällen zeigt hingegen deutlich den politischen Hintergrund dieser offiziellen Schuldzuweisung. Die wissenschaftliche Befassung betrifft einerseits die Analyse der sicherheitsdienstlichen und der gerichtlichen Akten und andererseits die fachliche Beurteilung durch Sachverständige für Sprengtechnik.

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Dr. Hubert Speckner: „Pfitscherjoch Steinalm Porzescharte“

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„Anschlag“ auf der Steinalm; 9.9.1966

Das Buch „Zwischen Porze und Roßkarspitz …“:

Auf 200 Seiten entwickelt Dr. Speckner die Chronologie der Vorkommnisse streng nach der Faktenlage, basierend auf Dokumenten, bisher unbekanntem Archivmaterial, Aussagen von Zeitzeugen und eigenen Recherchen vor Ort. Er enthält sich jeglicher persönlich gefärbter Kommentierung, was sich auch darin widerspiegelt, dass er immer neutral vom „Vorfall“ spricht, obwohl die (italienischen) Medien damals ganz andere Bezeichnungen verwendet haben.

Erst im Kapitel „Resümee“ verlässt Speckner seinen Weg der neutralen Betrachtung der Fakten und wagt einen subjektiven Darstellungsversuch, der darin gipfelt, dass sich seiner Ansicht nach der Vorfall nicht so abgespielt haben kann, wie es die offizielle (italienische) Lesart glauben machen will.

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Dr. Hubert Speckner: „Zwischen Porze und Roßkarspitz …“

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Der gesprengte Strommast auf der Porzescharte vom 25. Juni 1967
wurde wieder aufgestellt.

Beitrag der NÖN KREMS vom 10jul24:

Speckner Vorfaelle Suedtirol 25jun24 Foto

Der Präsident der NÖ MHG MjrdIntD Dr. Gerhard Saria dankt dem Referenten Dr. Hubert Speckner für den aufschlussreichen Vortrag.

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Der Referent Hofrat iR ObstdhmfD aD Dr. Hubert SPECKNER:

Geboren 1958 in Melk; Grundausbildung beim Bundesheer 1980 in Vorarlberg; bis 1990 Tätigkeit im Vorarlberger Schuldienst; nebenberufliches Studium der Geschichte und Germanistik an der Universität Innsbruck. Ab 1990 im Bundesheer: von 2000 bis 2012 Referatsleiter im Heeresgeschichtlichen Museums (HGM); bis 2023 Hauptlehroffizier und Militärhistoriker an der Landesverteidigungsakademie (LVAk) in Wien.

Dr. Speckner ist Kurator der Ausstellung „Befreiungsausschuss Südtirol – Opfer für die Freiheit“ in Bozen. Diese Ausstellung bietet einen Einblick in die Situation Südtirols in den 1960er Jahren und dessen Geschichte seit 1918. Die Höhepunkte des „Südtirol-Konflikts“ bieten sehr viele Betrachtungsweisen, und daher soll vor allem das Interesse an den damaligen Vorgängen geweckt werden. Im Mittelpunkt stehen jene Personen, die ein „Opfer für die Freiheit“ zu bringen bereit waren: nämlich die Aktivisten und Sympathisanten des „Befreiungsausschuss Südtirol“ und die beachtenswerte Entwicklung des „Südtirol-Konflikts“ bis zu den Autonomieabkommen. Es muss zudem jener Personen gedacht werden, die selbst Opfer wurden.

Eine ausführliche Beschreibung der Geschehnisse findet sich im Internet unter:
https://bas.tirol/cpt_allgemein/das-suedtirol-problem/

Bericht von: ObstdlntD i.R. Rudolf Sturmlechner, MSD MSc

 

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